Der Lock-in-Effekt auf dem deutschen Wohnungsmarkt

Wohnungsnot in Städten. Zu sehen ist die Skyline von Frankfurt

Viele, die zurzeit in Deutschland umziehen wollen oder müssen, können sich das wegen der explodierenden Mieten einfach nicht leisten. Das hat nicht nur zur Folge, dass Umzugsfirmen reihenweise in die Krise geraten. Zusätzlich wird der Zwang, aus Kostengründen in den bisherigen Verhältnissen wohnen bleiben zu müssen, für ganze Bevölkerungsgruppen zu einer Art tragischem Fluch - dem sogenannten Lock-In-Effekt.

Unwirksame Mietpreisbremse

Die mit viel Medienecho eingeführte Mietpreisbremse hat sich als weitgehend nutzlos erwiesen. Sie hat es entgegen der politischen Absicht nicht geschafft, den rasanten Anstieg von Mietpreisen – vor allem in den deutschen Großstädten – zu stoppen. Kein Wunder, denn welcher Mieter, der froh ist, eine bestimmte Wohnung ergattert zu haben, wird sich nach Beginn seines neuen Mietvertragsverhältnisses direkt mit dem Vermieter über eine zu hohe Miete herumstreiten wollen?


So erstaunt es nicht, dass eine aktuelle Erhebung zu Tage fördert, dass in acht von zwölf untersuchten Städten die Mieten im letzten Jahr trotz Mietpreisbremse deutlich gestiegen sind. Beispielhaft sei hier der Spitzenreiter München genannt, wo die Mieten im Vergleich zum Vorjahr um satte 9 Prozent zulegten und nun bei durchschnittlich 16,40 Euro pro Quadratmeter angekommen sind. Das Ende dieser Entwicklung ist noch gar nicht absehbar.

Mietpreisentwicklung führt zum Erstarren des Wohnungsmarkts

Der Begriff Lock-in-Effekt stammt ursprünglich aus der wissenschaftlichen Erforschung von ökonomischen Prozessen. Damit werden dort bestimmte Phänomene beschrieben, die durch Abhängigkeitsverhältnisse beispielsweise zwischen Vertragspartnern des Handels hervorgerufen werden.


Welche zuweilen bitteren Auswirkungen das Wirkprinzip des Lock-in-Effekts auf eine Gesellschaft mit überhitztem Wohnungsmarkt hat, lässt sich zurzeit in vielen deutschen Großstädten und deren umliegenden Gemeinden auch ohne viel Theorie ablesen. Die extreme Mietpreisentwicklung führt zu einem deutlichen Rückgang der Umzugsquoten. Eigentlich Umzugswillige bleiben lieber dort wohnen, wo sie es aufgrund von bestehenden Altverträgen noch mit bezahlbaren Mieten zu tun haben.


Und selbst in Gegenden mit einer weniger exzessiven Mietpreisentwicklung reiben sich Menschen, die nach Jahren mal wieder die Wohnung wechseln wollen (oder müssen), verwundert die Augen, wie viel sie für eine zukünftige Miete ausgeben müssten. Ernüchtert stellen sie dann fest, dass sie ein Umzug nicht nur sehr teuer kommt, sondern schlicht unmöglich wird.


In solchen Fällen werden dann zähneknirschend Beschränkungen im Wohnraum (zum Beispiel bei Nachwuchs) genauso hingenommen, wie lange Fahrtzeiten zu einem neuen Arbeitsplatz. So gesehen ist man in den alten vier Wänden also eingeschlossen,
locked-in eben.

Der Lock-in-Effekt als statistisches Phänomen

Betrachtet man diese Vorgänge nun von einer höheren Warte, zeigt die erzwungene Sesshaftigkeit von so vielen Mietern Auswirkungen, deren Folgen und Entwicklungen weder mittel- noch langfristig überschaubar sind, weder für die Wirtschaft, noch für den Staat, noch für das soziale Miteinander. Menschen, die nicht umziehen können, obgleich es gute Gründe für sie gibt, dies zu tun, werden bei einem als schicksalhaft empfundenem Verbleib in den alten Mietverhältnissen sicherlich nicht zufriedener sein, als nach einem eigentlich erforderlichen Umzug.


Zur Statistik: Noch im Jahr 2007 wechselten bundesweit fast 13 Prozent aller Mieter Ihren Wohnort. Diese Quote ist zum Jahr 2015 im Schnitt auf gut 9 Prozent gefallen, wie der Energiedienstleister Techem herausfand, der dazu die eigenen Datensätze auswertete. Er brauchte hierzu nur die im Zusammenhang mit Heizkostenabrechnungen registrierten Mieterwechsel bundesweit statistisch zu untersuchen.


Es liegt also die Vermutung nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen Mietpreisentwicklung und Umzugsquote gibt. In München und Berlin, Städten mit besonders hohen Mietpreissteigerungen, ist die Quote nämlich sogar auf 7,7 Prozent bzw. 7 Prozent gefallen.

Lock-In-Effekt – Ältere Menschen und Familien sind besonders betroffen

Für klassische Studentenstädte und günstige Wohnungen lassen sich diese Zahlen nicht anwenden. Zwar steigen die Mieten dort in gleichem Maße und sowohl Studenten als auch Geringverdiener sind ebenso betroffen von den Folgen, die sich für sie daraus ergeben. Allerdings sind Studenten aufgrund ihrer häufig wechselnden Lebensumstände, d.h. durch das Ende des Studiums, den Wechsel von Stadt zu Stadt, Auslandssemester etc., häufig darauf angewiesen, den Wohnort zu wechseln – egal wie hoch die Mieten sind. In Städten wie Münster, Nürnberg oder Bochum ist das klar erkennbar. Der Rückgang der Umzugsquote fällt in solchen Städten weniger drastisch aus.


Der Lock-In-Effekt betrifft vor allem viele ältere Ehepaare (oder auch Alleinstehende). Der klassische Fall: Die Kinder sind aus dem Haus und man möchte in eine kleinere, günstigere Wohnung ziehen. Die traurige Erkenntnis für viele: Entweder sie finden auf dem leergefegten Wohnungsmarkt gar keine kleineren Wohnungen oder die kleinere Wohnung ist ebenso teuer oder gar teurer als die aktuelle. Somit werden die Umzugspläne von vielen schnell begraben. Die großen Wohnungen, in denen v.a. ältere Mieter wohnen bleiben, stehen wiederum denen, die sie benötigen würden, nicht zur Verfügung. Die Folge: Junge Familien müssen in ihren zu kleinen Wohnungen bleiben. Die Familie, die wegen des sich ankündigenden Nachwuchses mehr Platz braucht, ist gezwungen, noch enger zusammenzurücken.

Lock-In-Effekt – Immer mehr Pendler unterwegs

Eine weitere Gruppe, die vom Lock-In-Effekt betroffen ist, sind diejenigen, die aus beruflichen Gründen umziehen müssten, d.h. Mieter, die nach einem Arbeitsplatzwechsel zur mehr Mobilität gezwungen werden, weil die neue Arbeitsstelle weiter entfernt ist. Frustriert nehmen Tag für Tag immer mehr von ihnen lange Pendlerstrecken in Kauf.


So registrierte das Statistische Bundesamt in einer Untersuchung, dass der Anteil der Personen, die zwischen 30 und 60 Minuten pro Strecke zum Arbeitsplatz pendeln, gestiegen ist: Er lag 2012 bei knapp 22 Prozent; 2004 hatte er noch bei 18 Prozent gelegen. Im Gegenzug ist seit 2004 der Anteil der Personen mit Pendelzeiten unter 10 Minuten gesunken.

Dass das Ganze letztlich auch den Steuerzahler – und damit uns alle – Geld kostet, kann man erahnen, wenn man nur an das Stichwort „Pendlerpauschale“ denkt. Mit ihr sind die Finanzämter – und damit der Staat – über die gesetzlich mögliche Steuerminderung für Arbeitswegaufwendungen gezwungen, diese Effekte eines überhitzten Wohnungsmarkts sogar noch zu subventionieren. Wir sind also alle betroffen, locked-in eben.

Von Marilla Schleibaum | Letzte Aktualisierung: 18. August 2016

Kategorie: Wohnungsmarkt